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Vita

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Blitzlichter

 

 

 

 

Interview mit

Nadia Shehadeh

 

 

Interview: Christine Stonat (2/2020)

Foto: privat

 

 

 

 

 

 

 

weird: Am 5.3.20 liest du – gemeinsam mit Mithu Sanyal – in Steinhagen aus dem Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (Ullstein). Das Buch der (queer-)feministischen Journalist_innen und Autor_innen Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah ist eine Sammlung von Texten diverser Autor_innen, darunter Mithu Sanyal und du. Das heißt, ihr lest nicht nur jeweils eure eigenen Texte, sondern auch die der anderen Autor_innen!?

 

Nadia Shehadeh: Oh, das kommt tatsächlich ganz drauf an. Wir hatten jetzt alle ganz viele verschiedene Konstellationen: Einzellesungen und auch Veranstaltungen, wo mehrere von uns gemeinsam lasen. An zwei Terminen haben wir es auch fast mal geschafft, alle zusammen auf die Bühne zu bekommen – aber einfach ist das nicht, weil alle ja auch noch in eigenen Projekten eingespannt sind, teilweise auch im Ausland. Dementsprechend war auch die Entstehungsgeschichte: Hengameh und Fatma haben uns alle digital betreut, weil es ja gar nicht möglich ist uns alle an einen Tisch zu bekommen. Ich habe aber auf jeden Fall auch schon Teile aus dem Text von Hengameh vorgetragen, weil ich ihn so liebe. Mithu und ich werden in Steinhagen zum dritten Mal gemeinsam durch den Abend führen – wir sind quasi auch ein eingespieltes Team! Und kannten uns tatsächlich schon bevor der Sammelband geplant wurde.

 

 

 

weird: Das Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“ ist im Februar 2019 erschienen, also genau ein Jahr alt. Wie würdest du die Resonanz auf deinen Beitrag rückblickend beschreiben?

 

Nadia Shehadeh: Ich blogge ja seit zehn Jahren, und habe dementsprechend auch schon in diversen Medien und Buchprojekten Texte veröffentlicht – finde es aber bis heute ganz merkwürdig, dass da draußen Leute sind, die diese Sachen lesen. Aber es freut mich natürlich total! Aber als Schreiberling hat man ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Texten: man schreibt sie und dann hakt man sie ab. Und mit meinem Text, den ich da geschrieben habe, verhält es sich ganz ähnlich, zumal er ja auch noch biographisch gefärbt ist. Ich lese ihn tatsächlich nur auf Lesungen – und bin immer wieder ein bisschen verblüfft, dass es überhaupt Leute gibt die sich für die Schwanks aus meinem Leben interessieren. Und dann freue ich mich natürlich auch darüber.

 

 

 

weird: Dein Beitrag in dem Buch heißt „Gefährlich“. Damit beziehst du dich vor allem darauf, wie alles Arabische – besonders seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center am 11.9.2001 – in Deutschland (und der westlichen Welt) grundsätzlich als gefährlich angesehen wird. Alles, außer Hummus …

 

Nadia Shehadeh: „Gefährlich“ war ja das Stichwort, das ich für meinen Text bekommen habe – und lustigerweise ist das eigentlich auch das Attribut, das von kleinauf an mich drangeklebt wurde – Hummus war dabei aber auch in den 1980ern und 1990ern kein Trend-Essen, aber zumindest nicht gefährlich. Wenn mich Schulfreund_innen besuchten und zum Abendbrot blieben, waren die meisten nicht sonderlich begeistert von Hummus – sie waren Wurstbrote gewohnt, und eben nicht „diese komische Paste“. Erst seit ein paar Jahren ist Hummus zum Universaltrend erhoben und im Zuge dessen auch sehr dem Whitewashing unterzogen worden. Es kam schon vor, dass ich ernstgemeinte Ratschläge von Leuten zur Hummuszubereitung bekam – also von solchen, die bis vor zehn Jahren noch nie was von Hummus gehört hatten. Das ist schon bitter – gerade dann wenn es von Leuten kommt, die sonst eher alles was „arabisch“ ist mit hochgezogener Augenbraue betrachten.

 

 

 

weird: Du machst übrigens selbst den besten Hummus von ganz Bielefeld und Ostwestfalen-Lippe, richtig!?

 

Nadia Shehadeh: Ich würde sogar behaupten, dass ich eines der bestmöglichen Hummus-Rezepte aller Zeiten habe – ist ja schließlich von meiner Oma.

 

 

 

weird: Es wird ja immer wieder neu über „der oder das Blog?“ oder „das oder die Nutella?“ gestritten, aber heißt es nun (der Deutsche Duden sagt es geht beides) DER oder DAS Hummus? :- )

 

Nadia Shehadeh: Würde immer behaupten: Das Hummus. Aber exactly we don‘t know!

 

 

 

weird: Du bist in einem kleinen Ort nahe Gütersloh aufgewachsen und lebst seit vielen Jahren in Bielefeld. Dein Vater kommt aus Palästina, deine Mutter aus Deutschland. In deinem Buchtext erzählst du u. a., dass du das „Glück“ hast, den (teilweise) selben arabischen Namen zu tragen wie eine Terroristin, die 1977 an der Entführung des Flugzeugs „Landshut“ beteiligt war, was dir irgendwann in der Schule von Lehrer_innen erklärt wurde. Wie weit gehen deine frühesten Erinnerungen zurück als du gemerkt hast, dass du in Deutschland aufgrund deines Aussehens und/oder deines Namens (einhergehend ggf. auch mit deinem Geschlecht) diskriminiert wirst?

 

Nadia Shehadeh: Mein Vater kommt aus der Westbank, aus einem kleinen Ort bei Nablus, und tatsächlich hatte ich schon mit vier Jahren die ersten Blitzlichter von: Hm, irgendwas ist bei uns anders. Meine Eltern hatten ein wunderschönes Bild an der Wand hängen, eine Zeichnung von einer Frau mit Hijab. Als Kleinkind habe ich mich immer vor diesem Bild gegruselt und ich vermute, dass das schon was mit internalisiertem Rassismus zu tun hatte. Außerdem hatte ich keine Lust Arabisch zu sprechen, und ich habe meine Haare gehasst. Im Kindergarten und auch später in der Grundschule habe ich mir immer glatte Schnittlauchhaare gewünscht. Man merkt schon sehr früh dass man ge-othert wird.

 

 

 

weird: Der Begriff „Heimat“ ist in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes sehr fest verwurzelt. Ist eine neue Besetzung des Begriffs möglich (oder irgendwann überhaupt mal möglich gewesen) oder überhaupt erstrebenswert oder kann der Begriff ein für alle Mal weg?

 

Nadia Shehadeh: Der Begriff kann weg, das ist meine Meinung. Ich operiere gerne mit dem Begriff „Zuhause“, denn das kann ich überall da sein, wo ich mich einrichte. Heimat impliziert – gerade in Deutschland – immer noch völkische Logiken.

 

 

 

weird: Jetzt im März stehen viele Aktionstage an. U. a. ist am 8.3. der Internationale Frauentag. Am 17.3. ist in Deutschland Equal Pay Day. Am 21.3. ist der Internationale Tag gegen Rassismus. Wie sehr feierst du solche Tage?

 

Nadia Shehadeh: Den Internationalen Tag gegen Rassismus feier ich nicht, auch nicht die internationalen Wochen gegen Rassismus, im Gegenteil bin ich meistens grade an diesen Terminen noch genervter – vor allem, wenn schlecht gemachte „Gut gemeint“-Aktionen noch mehr dazu beitragen problematische Dinge zu reproduzieren. Etwas besser fühle ich mich mit Internationalen Frauen*kampftag, auch dank diverser Aktionen, die wir mit der Mädchenmannschaft rund um diesen Termin machen – zum Beispiel dem Bereitstellen eines Veranstaltungskalenders und unserer mittlerweile fast schon legendären kampftag-Playlist.

 

 

 

weird: Ich kann dich hier natürlich nicht „gehen lassen“, bevor wir nicht auch über Musik gesprochen haben. Ein zentrales Thema auch auf deinem Blog https://shehadistan.com. Kannst du uns zwei, drei (female, queere, feministische) Acts nennen, die du gerade besonders feierst?

 

Nadia Shehadeh: Lizzo, boygenius und Ebow. Geht auf alle Ebow-Konzerte die Euch in diesem Jahr unterkommen. Ihr werdet es nicht bereuen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Interview: Christine Stonat (2/2020)

Foto: privat

Nadia Shehadeh kommt aus Bielefeld. Sie ist Soziologin und Autorin mit Schwerpunktthemen Feminismus, Rassismus und Popkultur, hier vor allem Musik. Ihre Meinung wird bundesweit und auch international geschätzt und gefragt. Nadia Shehadeh ist cis und hetera. Seit zehn Jahren bloggt sie, seit 2012 auf shehadistan.com. Regelmäßig veröffentlicht Nadia Shehadeh Texte in Büchern, online und anderen Medien. Seit 2019 schreibt sie u. a. für das feministische deutsche Popkultur-Magazin Missy. Seit 2011 gehört Nadia Shehadeh vor allem aber fest zum Redaktionsteam der (queer) feministischen Mädchenmannschaft, die seit 12 Jahren auf maedchenmannschaft.net mit intersektionalen feministischen Themen vielbeachtet online ist. Seit 2019 rockt Nadia Shehadeh das Kollektiv Female Festival Task Force und besucht hier u. a. Festivals und Konzerte aus feministisch kritischem Blickwinkel. Ebenfalls 2019 erschien ihr Text „Gefährlich“ in dem Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (Ullstein), eine Anthologie mit Texten von von Rassismus betroffenen Autor_innen. Am 5.3.20 liest Nadia Shehadeh gemeinsam mit Mitautorin Mithu Sanyal in Steinhagen Texte aus dem Buch.

 

Im aktuellen Interview sprach weird mit Nadia Shehadeh über Buch, Lesung, ihren Text „Gefährlich“, den Begriff Heimat (die Stadt Bielefeld verleiht seit 2019 übrigens einen „Heimat-Preis“. Dotiert mit 15000 Euro.), Rassismus, Musik, das Gefahrenpotenzial von Hummus und anderes mehr.

 

 

Online: http://shehadistan.com

 

 

Nadia Shehadeh und Mithu Sanyal

Lesung „Eure Heimat ist unser Albtraum“

5.3.20, 19.30 Uhr, Gemeindebibliothek, Steinhagen

 

 

Fatma Aydemir / Hengameh Yaghoobifarah (Hg_in)

mit Texten von Nadia Shehadeh, Mithu Saynal u. a.

„Eure Heimat ist unser Albtraum“

(Ullstein)

Sachbuch, 208 S., gebunden

Out: seit 22.2.19

 

weird-Interview-Profil

 

Name: Nadia Shehadeh

Alter: 40

Pronomen: sie

Beruf: Soziologin

Wohnort: Bielefeld

Meine weirdeste Eigenschaft: Bin der größte ASMR-Fan aller Zeiten, was mir ein bisschen unangenehm ist

 

in eigenen Worten

Ausgabe Nr. 144

März 2020

Nadia Shehadeh

Lesung: 5.3.20, Steinhagen

ARCHIV-BEREICH

 

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A queer perspective on women in pop culture

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