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A queer perspective on women in pop culture |
Ausgabe Nr. 126 April 2018 |
Berufen
Interview mit Karen-Susan Fessel
Interview: Christine Stonat (3/2018) Foto: Ina Osterburg
weird: Dieses Jahr ist dein neuer Roman „Mutter zieht aus“ (konkursbuch Verlag) erschienen. Ein Roman mit autobiographischen Zügen. Es ist die Geschichte deiner Mutter, erzählt, wie sie nach einem Oberschenkelbruch für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Warum war es dir wichtig dieses Buch zu schreiben?
Karen-Susan Fessel: Ursprünglich habe ich das Buch für meine Mutter als Geschenk zum 80. Geburtstag geschrieben, aber während des Schreibens wurde dann aus der Biographie nach und nach ein Roman, versetzt mit Interviews, biografischen Fragmenten, autobiographischen Einschüben. Ich fand es zusehends mehr interessant, mich mit der Kriegskindergeneration zu befassen, die ja so langsam verschwindet. Und; Ich dachte, dass ich mich mit dem Buch ein wenig auch selbst therapieren könnte, im Hinblick auf Loslassen, was mir einfach persönlich oft schwerfällt. Ob das geklappt hat, werde ich noch sehen …
weird: Warum hast du dich für die Romanform entschieden und nicht für eine Autobiographie?
Karen-Susan Fessel: Das Buch ist keine Autobiographie, weil es zwar auch meine Sicht erzählt, diese aber nicht im Fokus steht. Es ist eher ein Roman, aber eigentlich würde ich es als „Erzählenden Bericht“ bezeichnen. Nur, diese Gattung gibt es nicht. Und so entspricht das Buch am ehesten einem Roman.
weird: Seit unserem letzten Interview 2010 zu deinem Roman „Leise Töne“ hast du neben deinem aktuellen Buch zwei weitere Romane (2013 und 2014) veröffentlicht. Kurze Romane. Dein neuer großer umfangreicher Roman aber ist schon in Arbeit. Im Frühjahr 2019 soll er erscheinen. Kannst du schon etwas zum Inhalt sagen?
Karen-Susan Fessel: Könnte ich, aber ich bin in dieser Hinsicht ein wenig abergläubisch: Wenn ich nicht mindestens ein Drittel eines Buches geschrieben habe, rede ich noch nicht darüber. Und soweit bin ich noch lange nicht … Übrigens musste ich noch schnell nachzählen: Ja, 2010 ist mein letzter umfangreicher Roman „Leise Töne“ erschienen, danach kamen dann noch zwei kurze Romane, aber außerdem sind in dieser Zeit auch noch acht Kinder- und Jugendbücher erschienen. Untätig war ich also nicht, aber ich habe lange gebraucht, den neuen großen Roman zu durchdenken.
weird: Zu Recherchezwecken warst du im Februar 2018 in Israel. Was genau hast du dort gemacht und wie war‘s?
Karen-Susan Fessel: Die Reise war sozusagen das Abschlussprojekt meiner persönlichen Holocaust-Studien; ich habe dort gemeinsam mit einem Freund eine kleine Rundreise gemacht und für ein geplantes Buch recherchiert. Es war höchst interessant und bereichernd, ganz erstaunlich. Ein gespaltenes, zerrissenes Land mit einer unglaublich langen und wechselhaften Geschichte; ich wollte dort schon hin, seit ich 14 war und begonnen hatte, mich mit der Zeit des Nationalsozialismus zu beschäftigen.
weird: Im November 2018 wirst du als „Poet In Residence“ an die Universität Bielefeld berufen. Wie kam es dazu?
Karen-Susan Fessel: Ich nehme an, dass meine schriftstellerische Arbeit schlichtweg überzeugt hat – denn ich wurde in der Tat berufen, was bedeutet, dass man sich nicht selbst bewerben kann. Hat mich sehr gefreut!
weird: Was verbindet dich, was verbindest du bisher mit Bielefeld?
Karen-Susan Fessel: Bielefeld habe ich in guter Erinnerung, denn ich habe hier schon einige Lesungen im Laufe der Jahre gehalten. An jede einzelne kann ich mich bestens erinnern, auch an meine letzte bei „Bielefeld hat seine Tage“ (veranstaltet von weird am 10.11.11 im Zweischlingen Bielefeld. Anm. d. Red.) Bielefeld wird ja gern ein wenig als provinziell belächelt und als „Regenstadt“ Deutschlands bezeichnet, aber ich persönlich glaube, dass man in Bielefeld gut leben kann.
weird: Wie wird deine Arbeit als Poet In Residence genau aussehen?
Karen-Susan Fessel: Ich werde ein Blockseminar für Studierende halten, eine öffentliche Abendlesung und dazu noch einige Vormittagsschullesungen.
weird: Wie lange wirst du in Bielefeld sein?
Karen-Susan Fessel: Leider nur vier Tage – aber ich freue mich sehr darauf!
weird: Du schreibst neben Romane für Erwachsene schon immer auch Kinder- und Jugendbücher. Jetzt im Frühjahr 2018 gibt es neben deinem neuen „Frieda Fricke“-Roman (Kosmos Verlag, ab 7 Jahren) dein neues Buch „Nebeltage, Glitzertage“ (gemeinsam mit der Illustratorin Heidi Kull), in dem es darum geht, Kindern (ab 4 Jahren) bipolare Störungen von Erwachsenen in ihrem Umfeld zu erklären. Wie ist dieses Buch entstanden?
Karen-Susan Fessel: Im Psychiatrie-Verlag, der sich auf Bücher zu psychiatrischen Themen spezialisiert, ist im vorigen Herbst das Buch „Der Zahlendieb – mein Leben mit der Zwangserkrankung“ erschienen, die Autobiographie von Oliver Sechting, das ich mit ihm gemeinsam verfasst habe. Daraus hat sich dann eine weitere Zusammenarbeit mit dem Verlag ergeben – ich interessiere mich ja ohnehin schwer für derartige Themen und habe dann gedacht, dass ich es eigentlich gern auch mal mit der schwierigen Aufgabe versuchen möchte, Bücher für Kinder zu solchen Themen zu schreiben. „Nebeltage, Glitzertage“ ist das erste von voraussichtlich fünf Büchern, die ich für den Verlag machen werde. Eine spannende Aufgabe – zumal ich früher immer dachte, dass ich nie im Leben Bilderbücher schreiben könnte …
weird: Ein dir wichtiges Thema ist u. a. auch HIV und AIDS. Du bietest mit deinen Kinderbüchern, Workshops und Lesungen zunehmend auch Aufklärungsarbeit und Hilfsangebote. Wie sehr fühlst du dich als Schriftstellerin neben deinem kulturellen auch einem pädagogischen Auftrag verpflichtet und wie spielt das bei dir zusammen?
Karen-Susan Fessel: Neben dem Schreiben auch noch pädagogisch zu arbeiten, ist mir absolut wichtig. Ich möchte von dem, was ich bekomme – die Möglichkeit, meinen Traumberuf auszuüben und davon, wenn auch nicht gerade üppig, leben zu können – auch wieder etwas zurückgeben, und das geht wunderbar durch Workshops, Lesungen, Aufklärungsarbeit. Außerdem arbeite ich unglaublich gern mit Menschen zusammen, auch und gerade mit den als so schwierig geltenden jungen Leuten zwischen 14 und Anfang 20.
Interview: Christine Stonat (3/2018) Foto: Ina Osterburg |
Karen-Susan Fessel wurde 1964 in Lübeck geboren und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Die lesbische Schriftstellerin schreibt Romane und Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Ihr aktueller Roman „Mutter zieht aus“ erschien im Januar 2018 und ist autobiographisch geprägt. 2011 wurde Karen-Susan Fessel in Osnabrück mit dem Rosa Courage Preis ausgezeichnet. Ebenfalls 2011 war Karen-Susan Fessel zuletzt in Bielefeld zu einer Lesung im Rahmen von Bielefeld hat seine Tage, veranstaltet von weird. Im November 2018 führt es sie nun erneut nach Bielefeld: Karen-Susan Fessel wurde als Poet In Residence an die Universität Bielefeld berufen. Was das genau heißt, Neues zu ihrem aktuellen Roman und zu ihrem nächsten großen Roman, der 2019 erscheinen wird, und mehr erzählte Karen-Susan Fessel weird im aktuellen E-Mail-Interview.
Online: www.karen-susan-fessel.de
Karen-Susan Fessel „Mutter zieht aus“ (konkursbuch) Roman, 256 S., gebunden Out: seit Januar 2018
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Interview-Steckbrief - in eigenen Worten -
Name: Karen-Susan Fessel Alter: 53 Beruf: Schriftstellerin Wohnort: Berlin Meine weirdeste Eigenschaft: Ich kann mir extrem gut Namen und Gesichter merken!
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