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A queer perspective on women in pop culture |
Ausgabe Nr. 125 März 2018 |
Jenseits von normativen Zwängen
Interview Amalie Toyou
Interview: Christine Stonat (2/2018) Fotos: Amalie Toyou privat
weird: Wann, wie und warum hast du begonnen aktivistisch tätig zu werden? Lässt sich das anhand vielleicht eines „Schlüsselmoments“ festmachen oder war es eher etwas, was sich entwickelt hat?
Amalie Toyou: Mein Schwarzer Aktivismus entstand langsam und spät und hat sich im Verlauf der Jahre sehr verändert. Eine Freundin überredete mich dazu, zum ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Anm. d. Red.) Bundestreffen zu fahren. Anfangs war ich sehr skeptisch und fragte mich, wozu ich das brauchen sollte.
Durch diesen Impuls begann ich aber, mich mit Haarpflege zu beschäftigen, denn spontan war das der einzige Punkt, an dem ich Schwarze Unterstützung mir vorstellen konnte.
Nach ausgeprägter Recherche stellte ich zunächst fest, dass ich mit Mitte 20 nicht wusste, wie ich meine Haare gesund halten konnte und darüber hatte ich mit der Zeit tiefgreifenden Erkenntnisse, was das mit unserer rassistischen Gesellschaft zu tun hat. Kolonialismus, die eurozentristische Schönheitsnorm, die daraus resultierenden (Nicht-)Angebote für Schwarze Menschen, auch die kollektive Vereinzelung diasporischer Menschen … Das hat mich dazu gebracht, aktivistisch tätig zu werden.
weird: Als Black Activist, intersektionell, fat-positiv und queer, an wen richten sich deine aktivistischen Aktivitäten und wie sehen diese aus?
Amalie Toyou: Zur Zeit begrenzen sich meine aktivistischen Tätigkeiten vor allem darauf, meine Gedanken und mein Wissen auf meinem Twitteraccount zu teilen. Ich kommentiere Erlebnisse, politische Geschehnisse, (Pop)Kultur und zeige Strukturen, deren Auswirkungen und meine Perspektiven auf. Hin und wieder gebe ich Workshops und begleite verschiedene Aktionen, Veranstaltungen und Einzelpersonen.
Mir ist es derzeit am Wichtigsten, Repräsentation zu bieten und Empowerment sowohl zu erleben als auch weiterzugeben.
Oppression funktioniert häufig auch dadurch, dass marginalisierte Positionen gesilenced - also zum Verstummen gebracht - werden. Wir werden als zu vernachlässigen angesehen und in die Peripherie gedrängt.
Ich versuche, präsent zu sein. Schon allein das ist Widerstand, schon allein das ändert das Gefüge.
Ich mache das sowohl ganz einfach für mich als auch für Menschen wie mich, in meinen Communities. Meine Fokusse - Foki? Na, ihr wisst schon - sind die Schwarze und Queere Community.
Klar, ich bin ein Individuum und niemand ist wie ich (jahahahaha!), aber es gibt sehr viele Schnittmengen zu sehr vielen anderen Menschen, die vielleicht von meinem Wissen und/oder meiner Präsenz profitieren können. Ein Gedankenanstoß, eine Erkenntnis, eine (Re-)Fokussierung, das Gefühl, nicht allein zu sein. Und wenn es nur die Freude an einem Ziegenbild ist.
weird: Du bist enby (non-binary) und queer. Was bedeutet queer sein für dich?
Amalie Toyou: Queer sein bedeutet für mich, sowohl in meiner sexuellen Identität und Orientierung, als auch bis zu einem gewissen Grad in meinen Beziehungsgestaltungen, dem sogenannten westlichen dyaheterocissexistischem Bullshitsystem nicht zu entsprechen.
Queerness ist Freiheit jenseits von normativen Zwängen.
weird: Was bedeutet enby (non-binary) sein für dich?
Amalie Toyou: Enby sein bedeutet für mich, dem sogenannten westlichen dyaheterocissexistischem Bullshitsystem nicht zu entsprechen.
Die Geschlechtsbinarität ist eine relativ neue Erfindung, die uns allen aufgedrückt wurde. Kolonialismus und rassistische, weiße Wissenschaft. Pah!
Ich empfand das mir zugewiesene Geschlecht zumeist als unpassend. Lange versuchte ich der zugewiesenen Rolle zu entsprechen, dann versuchte ich mich von ihr abzugrenzen, zwischendrin immer wieder mich damit abzufinden.
Nach langem Auseinanderdröseln von internalisiertem Sexismus und Rassismus stellte ich fest: Bin ich halt nicht. Muss ich nicht sein.
Ich bin weder Frau noch Mann, sondern einfach ich. Das bedeutet weder, dass das eine oder das andere schlecht ist, ich dazwischen, darüber hinaus liege oder darunter falle, es entspricht mir einfach nicht. Oder ich ihm. Oder wir uns.
weird: Am 8. März ist der Internationale Frauentag. Was sind deine Gedanken zu dem Tag wie er hier in Deutschland begangen wird?
Amalie Toyou: Puh. Schwierig. Ich habe dazu keine gefestigte Meinung, sondern vor allem einige ungeordnete Gedanken.
Ich freue mich über die stärker werdenden Anstrengungen, FLTI-Themen zu benennen und in einen gesamtgesellschaftlichen Fokus zu setzen.
Wie leider viele größer organisierten Veranstaltungen, sind auch die mir bekannten meist sehr weiß und cissexistisch, eher mittelständisch/akademisch, eher hetero und mainstream-homo, ablebodied, normgerecht, … weswegen die Profiteur*innen eben meist weiße … hetero Cis-Frauen sind.
Nach meiner Beobachtung ist es eher so, dass es politische Lippenbekenntnisse und ein paar mehr oder weniger fundierte politische Stellungnahmen gibt.
Fühle ich mich nicht angesprochen und nicht gemeint. Bin ich oftmals auch nicht. Wenn es daraus folgend positive Veränderungen gibt, dann ist es wahrscheinlich eher zufällig, wenn marginalisierte FLTI etwas davon haben.
Ich fänd's super, wenn bell hooks' Ansatz „From Margin to Center“ umgesetzt werden würde.
Wichtiger Tag, dessen inhaltliche und aktivistische Füllung noch erweiterbar ist.
weird: Am 21. März ist der Internationale Tag gegen Rassismus. Wie erlebst du die geführten Rassismus„debatten“ in Deutschland und das, was daraus resultiert?
Amalie Toyou: Das Problem in Deutschland ist meines Erachtens, dass Menschen tatsächlich denken, dass Rassismus ein Thema ist, über das man diskutieren könnte.
Es geht nicht um Standpunkte und Meinungen, Beschuldigungen und Gefühle, sondern um den Abbau von Rassismus.
N-Wort, Kopftücher, Moscheenbau, Racial Profiling, Asylrecht und was immer das Hot Topic der Saison ist, sind seltenst wirklich zu diskutieren.
Die Frage ist, ob wir Rassismus erhalten wollen und wenn nicht, endlich Grundlagen zu bauen, dass es tatsächlich zu Accountability, Privilegien(um)verteilung und einer Gleichstellung kommen kann.
weird: Du kommst aus Niedersachsen und lebst in Hamburg. Wie hat sich dein Leben als Black queer enby in Hamburg verändert?
Amalie Toyou: Die Großstadt in ihrer Größe und Diversität hat mich überhaupt erst in die Lage gebracht, mich als zunächst queer, dann Black und schließlich auch Enby finden zu können.
In Niedersachsen hatte ich kaum den Raum oder die Möglichkeit, mich in meinen Identitätsbestandteilen zu entwickeln und zu finden.
Als ich die Stadt, in der ich aufwuchs verließ und nach Hamburg kam, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, überhaupt Sein zu können und nicht unter ständiger Beobachtung zu stehen. In der Masse nicht mehr besonders auffällig zu sein, bedeutete auch, endlich meine Individualität erforschen zu können.
weird: Warum Hamburg und was liebst du an Hamburg besonders?
Amalie Toyou: Ich wollte um-pe-dinkt in eine Großstadt, aber dort nicht vollkommen einsam sein. Ich hatte lose Kontakte nach Hannover, Berlin und nach Hamburg, also boten die sich an.
Hannover ist - finde ich - die hässlichste Stadt des Nordens (don't @ me!).
Berlin war mir zu groß und empfand ich als schnoddriger, während sich Hamburg mir als überschaubarer und freundlicher präsentierte.
Ich hatte damals außerdem die großartige Unterstützung einer Freundin, die sich Zeit nahm, mir Hamburg besonders schmackhaft und (er)lebbar zu machen.
Ich liebe an Hamburg besonders, dass es eine diverse, grüne Stadt mit viel Wasser ist. Und Franzbrötchen, Digga.
weird: Du bist vor allem popkulturell sehr vielseitig interessiert. Musik ist ein Thema, für das du sehr viel Liebe hast. Im Zuge des Black History Month im Februar hast du auf deinem Twitter-Account u. a. über Skin, die Schwarze lesbische Solomusikerin und Frontfrau von Skunk Anansie geschrieben. Was fasziniert dich an ihr und ihrer Musik und welche anderen Musiker_innen bewegen dich?
Amalie Toyou: Oooooh! Habta sie gehört? Sie gesehen? Ihr zugehört? Ahmean… Skin! Großartig!
Als ich in den 90ern sie das erste Mal sah, war ich vor allem fasziniert von ihr, weil sie so unapologetically herself war. Ich verstand die Texte nicht, aber sah diese Schwarze, glatzköpfige Frau, die sich offensichtlich nicht darum scherte, der Norm zu entsprechen. Ich dachte: „Wow, das darf sie? Das darf man?“ und war außerdem tief berührt von ihrer Stimme, den Melodien und der harten Sanftheit, die Skunk Anansie für mich transportierte.
Heute verstehe ich die Texte, und zu meiner Begeisterung ist die Komponente des politischen Queer- und Schwarzseins hinzugekommen.
Musik ist schon immer ein unglaublich wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ich habe immerzu ein Flavor of the Month und finde ständig neue Zugänge zu alter oder auch neuer Musik. Zur Zeit fühle ich mich sehr berührt von Lizzo, Ibeyi und Solange und feiere SZA und The Internet sehr. Außerdem bin ich gerade mal wieder auf The Miseducation of Lauryn Hill und Baduizm hängen geblieben. Zusammen mit A Seat at the Table und Lemonade: more levels than Pacman.
(Nicht, dass Lizzo nicht zu feiern wäre, aber ihre Feiermusik berührt mich tiefer, if you know whadda mean).
weird: Literatur, Film und Mode. Auch hierfür hast du sehr viel Leidenschaft. Bist du selbst auch kreativ oder künstlerisch oder musisch tätig?
Amalie Toyou: Ich mache nur schlechte Wortwitze und singe quatschige Lieder in sehr miesen Melodien. Beides in meinem Umfeld verhältnismäßig ungeliebt.
weird: Deine Leidenschaft ist empowernd. Siehst du Empowerment als einen Grundpfeiler deines Aktivismus? Und was sind deine Grundpfeiler?
Amalie Toyou: Ja. Empowerment ist d e r Grundpfeiler meines Lebens, tatsächlich.
Ich glaube, wenn Menschen in sich erstarken und sich gut mit sich fühlen, können alle davon profitieren. Jede marginalisierte Person, die ein zufriedenes Leben führt, ist ein Sieg gegen das System.
Da im Grunde alle(s) empowernd sein kann, kann es sich auf alle(s) auswirken.
Es kann totales Empowerment bedeuten, einen Afro zu kämmen, einen Vortrag zu halten, schwimmen zu gehen, für das eigene Recht einzustehen, out and proud zu sein, eine Behandlung (nicht) anzunehmen, zu tanzen, Wissen zu sammeln und zu teilen, eine Petition durchzukämpfen, absolut mittelmäßig zu sein, einen perfekten Lidstrich zu ziehen, einen Job (nicht) anzunehmen, ins Theater/Konzert/Kino/Stadion/… zu gehen und eine Schwarze/dicke_fette/queere/be_hinderte/ … Person auf der Bühne zu sehen, Freund*innen zu finden, fat & (un)fabulous zu sein, zu überleben.
weird: Wer oder was empowert dich selbst aktuell besonders und warum?
Amalie Toyou: Black Panther & Wakanda.
Starke Bilder afrikanischer Menschen, u. a. gestaltet von afrikanischer Diaspora in allen Vielfältigkeiten des Schwarzseins. Die Autor*innen, die Schauspieler*innen, die Frisuren, die Tänze, die Kleidung, die Implikationen, die Repräsentationen, der Erfolg und nicht zuletzt das warme Gefühl von Sehnsucht und Heimat.
Interview: Christine Stonat (2/2018) Fotos: Amalie Toyou privat |
Amalie Toyou bezeichnet sich selbst als B(l)acktivist. Amalie Toyou ist enby, sprich non-binary, und queer. Neben Schwarzem queeren Aktivismus gilt Amalie Toyous Leidenschaft der Popkultur, von Musik über Fashion bis Film. Empowerment spielt in allen Bereichen für Amalie Toyou dabei eine besondere Rolle. DER Grundpfeiler meines Lebens, sagt Amalie Toyou. Amalie Toyou wuchs in Niedersachen auf und lebt heute in Hamburg. Im aktuellen E-Mail-Interview mit weird gibt Amalie Toyou u. a. Antworten zum eigenen Schwarzen Aktivismus, zum queer und enby sein, zu Empowerment, zur Liebe zu Hamburg und zur Popmusik.
Amalie Toyou auf Twitter: @hrmpfm https://twitter.com/hrmpfm
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Interview-Steckbrief - in eigenen Worten -
Name: Amalie Toyou Alter: 30 Beruf: Rantner*in Wohnort: Hamburg Meine weirdeste Eigenschaft: ich bin teils charmant nervig
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